Die Planung steht
So hatten sie ihre Besichtigungstour auch schon für Erfurt festgelegt. In jedem Fall wollten sie mit der Domkirche St. Marien beginnen, dann das Rathaus und danach hatten sie sich vorgenommen den Turm der Ägidienkirche zu besteigen. Die Krämerbrücke und durch die Erfurter Altstadt zu schlendern hatten sie sich für später aufgehoben. Soweit ihre Planung, aber soweit war es ja noch nicht.
„Nun komm endlich in die Pötte!“, forderte Pimpelchen seinen Wanderkameraden auf. „Du hast bis Erfurt ja auch noch eine ganze Menge über das Handwerk zu erzählen. Ich bin schon ganz gespannt darauf wie es weitergehen wird und welche Entwicklung das Handwerk genommen hat.“
„Gut“, antwortete Himpelchen. „Das habe ich dir ja auch gestern zugesagt und mein Wort habe ich immer gehalten. Kommen wir noch einmal darauf zurück, das der Meister des ehrbaren Handwerks, immer wenn er seinen Gesellen auf die Wanderschaft schickte, diesem auftrug dem Meister bei dem er anheuerte von ihm zu grüßen, weil das zum guten Ton dieser Zeit gehörte. Gleichzeitig gab er ihm aber auch zu verstehen, wenn dieser Meister nicht ehrenhaft handelte, er versuchen sollte ihn zu bekehren und wenn ihm dieses nicht gelingen würde, ihm ohne Nennung irgendwelcher Gründe sofort den Rücken zu kehren.“
Handwerksrecht und Gewohnheit
Sie hatten sich an diesem Morgen schon recht zeitig wieder auf den Weg gemacht. Himpelchen nimmt, wie zugesagt, erneut den Faden des Gesprächs vom Vortag auf und sagt zu Pimpelchen: „Wir können von Glück sagen, dass die Form der handwerklichen Bettsuche Vergangenheit ist, denn das Handwerk hatte sich organisiert und in Zünften zusammengeschlossen. Die Zünfte regelten das gesamte Handwerker- und Privatleben ihrer Zunftgenossen, bestimmt durch Handwerksrecht und Gewohnheit und hatten sich eine eigene Gerichtsbarkeit zugelegt. Dazu aber später mehr. So regelten sie alles was mit dem Handwerk zu tun hatte und aus dem Grund komme ich noch einmal auf unsere Übernachtung in der Baumwohnung zurück. Wir konnten sie frei wählen und beziehen.“
Das Bruderbett
Zur Zeit der Zünfte war das nicht so einfach, denn für die Vergabe des Bruderbettes gab es eine klare Regelung. So musste der zuletzt eingewanderte Fremdgeschriebene folgende Auflagen erfüllen: er hatte in der Herberge um das Bruderbett zu bitten. Kannte er die zu Bettgehzeit nicht, musste er die anwesenden Gesellen mit folgendem Wortlaut dazu fragen: „Mit Gunst ihr Brüder, um wie viel Uhr wird hier ums Bruderbett gebeten?“ Nach Nennung der Zeit musst er dem Herbergsvater sagen: „Mit Gunst, ich will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle mir und meinen Mit-Konsorten vergönnen, in dem frommen Bruderbett zu schlafen; wir wollen uns verhalten, wie’s frommen Handwerkerknechten gebührt und wohl ansteht. Es sei gleich, hier oder anderswo.“
Die Bitte um Gewährung des Bruderbettes musste genau um die für den betreffenden Ort geltende Zeit erfolgen. In der Winterszeit war es meist die achte, in der Sommerzeit die neunte Stunde.
War die Bitte um Gewährung des Bruderbett getan, wurde das den sonst noch anwesenden Fremdgeschriebenen mit den Worten besonders mitgeteilt: „Mit Gunst, ihr Brüder! Es ist um das Bruderbette gebeten.“ Gemeinsam wurden die Fremden dann vom Vater in die Schlafkammer geführt und jeder hatte beim Überschreiten der Schwelle zu sagen: „Mit Gunst, dass ich mag in der frommen Brüder Schlafkammer gehen.“
Und beim Ausziehen hieß es: „Mit Gunst, dass ich mag ausziehen, von oben bis unten und von unten bis oben.“ Und beim Hineinsteigen ins Bett: „Mit Gunst, dass ich mag in der frommen Brüder Bett schlafen.“
Die Kleider durften aus naheliegenden Gründen nicht in die Nähe des Bettes gelegt werden. „Früh um sechse musste jeder wieder vom Lager aufgestanden sein,“ schloss Himpelchen seinen Bericht.
Das geordnete Lehrwesen
„Das frühe Aufstehen hätte uns ja nichts ausgemacht“, meinte Pimpelchen. „Aber das ganze Prozedere Drumherum wäre mir ganz schön auf die Nerven gegangen. Im Nachhinein bin ich ganz froh darüber, dass diese Zeit weit zurückliegt. Trotzdem bin ich darauf gespannt wie die Geschichte des Handwerks weitergeht.“
„Diese strenge Regelung, wie sie zu dem Zeitpunkt ausgeführt wurden, hatte ihren Ursprung im alten Handwerk genommen, allerdings mit einem anderen Anfang“, fährt Himpelchen weiter fort. „So gab es zum Beispiel in der ersten Zeit des alten Handwerks keine regelrechte Lehrzeit. Wer sich zutraute gewisse Arbeiten auszuüben, um damit den eigenen Lebensunterhalt zu sichern, übte sie aus. Die Ansprüche an das Können waren nicht allzu hoch und so mancher war im Handwerk tätig, den der Zufall in diese Tätigkeiten gespült hatte. Es ist, glaube ich, verständlich, dass die in dieser Zeit emporstrebenden Zünfte sich gegen die Aufnahme dieser Handwerker stemmten. Eine Wende ist im 14. Jahrhundert erkennbar. Sie leitet Vorschriften und eine ordnungsgemäße Lehre ein. Die früheste Urkunde eines geordneten Lehrwesens ist wohl die Ordnung der Kölner Drechsler von 1182“, schließt Himpelchen seinen Bericht ab.
Lehrzeit und Lossprechung
Sie haben mittlerweile Hahnenklee erreicht und haben sich entschlossen zu frühstücken und eine größere Ruhepause einzulegen, um sich dann gestärkt auf den Weg zu ihrem nächsten Etappenziel zu machen. Zunächst aber besichtigen sie die Stabkirche, in der so viele Paare sich das Ja-Wort geben. Von da brechen sie nach Clausthal auf. Pimpelchen kann es kaum erwarten und ist die ganze Zeit schon recht unruhig, denn er möchte endlich wissen wie es mit dem Handwerk so weiter ging.
„Pimpelchen, wir haben ja eben die Holzkirche bewundert und über die Holzverarbeitung werde ich jetzt auch weitererzählen, denn die den Tischlern nahestehenden Drechsler haben sich in ihren Gebräuchen ganz denen der Tischler angepasst.“ Aufdingen und Lossprechen der Jungen vollzog sich ganz im Rahmen des bei Tischlern üblichen. Nach der Handwerksrolle zu Lübeck vom 18. August 1507 konnte der Lehrmeister den Jungen 14 Tage auf seine Tauglichkeit zum Handwerk prüfen. Dann aber musste er ihn vor die Aelterleute bringen und zwar mit frommen Leuten, die seine gute Geburt bezeugen konnten. Dem Jungen wurde von den Aelterleuten der Zunft, er hatte Redlichkeit versprochen, gewährt die Lehrzeit anzutreten. Darauf hatte er dann drei Jahre zu lernen. So scheint es überall und die ganzen Jahrhunderte hindurch gewesen sein. Nach der Lehrzeit vollzog sich die Freisprechung, wieder vor dem versammelten Handwerk, unter dem der Obermeister eine Umfrage wie folgt einleitete: „Mit Gunst, kunstliebende Meister! Sie werden sich erinnern, dass wenn ehrliche rechtschaffene Meister zusammen kommen. Eine ist keine, zwei ist auch keine, drei ist eine. So viel Ihr Umfragen begehrt, sie sollen nach Handwerksgebrauch und Gewohnheiten euch gehalten werden. So, mit Gunst, habe ich ausgeredet.“ Der dem Obermeister zunächst sitzende Meister antwortet darauf: „Mit Gunst Herr Handwerksmeister! Es ist billig und wohl, dass ich Euch Rede und Antwort gebe. Zwar Euch nicht allein, sondern allen rechtschaffenen Meistern, die mich fragen oder nochmals fragen werden. Was ich zu verrichten habe, das könnte wohl mit einer Umfrage geschehen, es dürfte aber wohl ein rechtschaffener Meister am Tische sitzen, der mehr zu verrichten hätte als ich. Deswegen soll mein Wort nicht allein gelten, sondern sein Will und Meinung soll auch dabei sein. Mit Gunst ich habe ausgeredet!“
Dann fragte der Obermeister den, der eben gesprochen hatte: „Ich frage euch zum ersten mal, wie ein rechtschaffener Meister den anderen zu fragen pflegt, ob Euch etwas bewusst und eingefallen, das dem Handwerk nicht zu leiden oder dulden stünde. Das werdet ihr anmelden und nicht verschweigen und nochmals reden, so werdet Ihr Euren Schaden reden. Darum bedenkt Euch wohl, was ihr redet. Schaden tut weh, Nachreden gelten. Ich sehe Euch für denjenigen Meister an, der sich wird wissen vor Schaden und Unkosten zu hüten. Mit Gunst habe ich ausgeredet!“
Jetzt erst wurden die Gesellen hereingerufen, die „mit Höflichkeit“ in die Stube treten und sich an einem Nebentisch setzen mussten. Auch sie wurden jeder einzeln vom Obermeister gefragt, „ob ihnen etwas wissend, was dem Handwerk nicht zu leiden, oder dulden, das sollten sie melden.“ Oder so sie auf den Jungen was wüssten, so sollten sie es vor offener Lade es melden. Würden sie was verschweigen und hernach reden, so würden sie ihren eigenen Schaden reden. Wussten auch sie nichts als alles Gute, wurde der Lehrling ihnen mit der Mitteilung übergeben, dass er seine Jahre ehrlich ausgestanden und vor offener Lade frei und losgesprochen wurde.
„Im Anschluss findet das Gesellenmachen statt. Darüber erzähle ich aber morgen weiter. Heute ist erst einmal Schluss. Ich habe, glaube ich, schon Fusseln am Mund. Dann erzähle ich dir auch was die Lade, der Willkommen und das Gesellenmachen für das Handwerk in dieser Zeit bedeutet hat.“
Fortsetzung folgt
Lieber Wilfried, mit Gunst!
So kann man eine an sich trockene reglementierte Situation ins Leben bringen – mit deinen beiden Lehrlingen – ach nee, Himpelchen ist ja wohl schon Gesellen. Denn Geselle muss er ja schon sein, wenn er Recht und Pflicht hat auf die Walz zu gehen und sich so gut auskennt.
Schade, dass hier ohne Teil 1 gedruckt, also ohne Anfang. Gibt es den noch irgendwo? Ich erinnere mich an deine Texte aus der Zeit unseres Kennenlernens, aber hier mit den beiden Portraits sieht es so schön professionell aus!
Eure Seite insgesamt ist richtig anspruchsvoll aufgemacht, super Lay-outer!
Auch die anderen Texte im Blog sind sehr nett zu lesen mit den schönen Fotos dazu! Hier und da denke ich: Könnte thematisch von dir sein?
Was leider modern ist, mir aber zu schaffen macht: Weiße Schrift auf gelbem Grund lässt sich miserabel lesen. Erst wenn ich mit dem Curser rausgehe, kann man den fertigen Text lesen (und korrigieren), beim Schreiben selbst aber nicht.
Hallo, vielen Dank für die Rückmeldung. Am Layout kann man sicherlich noch arbeiten.
Die Texte sind nach Datum geordnet, von aktuell bis alt. Die beiden weiteren Teile der Wichtelgeschichte sind natürlich auch veröffentlicht. Sie befinde sich auf der zweiten Seite. Auf der Startseite unterhalb der Texte ist die „Navigation“. Alternativ kann man auch die Suche benutzen und nach dem Schlagwort „Wichtel“ suchen. Dann bekommt man alle Geschichten angezeigt, die mit Wichteln zu tun haben.