Seit einiger Zeit sind wir ehrenamtlich in einer Kultureinrichtung in Goslar tätig. Da ich handwerklich nicht gerade ungeschickt bin, sah man mich in erster Linie im Hausmeisterteam aushelfen. Neulich klingelte das Telefon und mein Ansprechpartner meldete sich: „Kannst Du mit einem Hammer umgehen?“ „Natürlich, merkte ich an.“ Schließlich hatte ich vor langer langer Zeit einen Gesellenbrief im Kfz-Handwerk nach abgeschlossener Ausbildung überreicht bekommen. „Gut, dann treffen wir uns Dienstag um 11:00 Uhr in der Einrichtung. Wir wollen eine Küche aufbauen. Hast Du Zeit?“ „Dienstag passt gut.“
Das Abenteuer beginnt
Pünktlich um 11:00 Uhr trafen wir uns also am besagten Dienstag, um die Küche aufzubauen. Zunächst ging es an die Hängeschränke. Die Wände des sehr alten Gebäudes weigerten sich partout gegen die Aufnahme von Dübeln jeglicher Art. Aber nach Zusammentragen jeglicher handwerklicher Erfahrungen und einem intensiven Austausch hingen die Schränke irgend wann dann doch an der Wand. Das Chaos an Gerätschaften und anderen Hilfsmittel, welches diese Aktion hinterließ, war schon beeindruckend. Man hätte meinen können, wir hätten vorgehabt, ein U-Boot zu bauen. Aber mit stolz geschwellter Brust ging es weiter.
Der Boden ist schief
Die Unterschränke waren an der Reihe. Das Aufstellen ging relativ fix, wäre da nicht der abartig schiefe Boden gewesen. Zu dritt gingen wir also ans Werk. Einer gab Anweisungen anhand der Anzeige der Wasserwaage, die zweite Person hob den jeweiligen Schrank an und ich versuchte durch Drehen an den Füßen des jeweiligen Schrankes die Anweisungen des Wasserwaagenmannes zu erfüllen. Nach einer gefühlten Ewigkeit vernahm ich zufriedene Stimmen, wobei hier zwei klassische Sätze des Handwerks zum Tragen kamen: Das erste ungeschriebene Gesetz des Handwerks lautet: „Das setzt sich noch.“ Und das zweite ungeschriebene Gesetz liest sich in abgewandelten Formen in etwa so: „Das sieht sich weg.“ Jetzt begann also der nächste Teil unserer Arbeit, die Arbeitsplatte, welche noch im Regal im Baumarkt stand.
Die Arbeitsplatte
Wir einigten uns auf eine Arbeitsteilung. Während ich in Begleitung zum Baumarkt fuhr, blieb die dritte Person des Hausmeisterteams im Gebäude und kümmerte sich um das Zuschneiden und Anbohren der Kabelkanäle für die Stromversorgung. Im Nachhinein ist man immer schlauer, heißt es so gut. Wir hätten die Vorzeichen, die sich anhand strömenden Regens und der Eiseskälte nahezu aufdrängten, erkennen können, nein, sogar müssen. Noch waren wir frohen Mutes und betraten den Baumarkt in berechtigter Erwartung, ihn schnell wieder inklusive Arbeitsplatte und zugehörigem Spiegels verlassen zu können. Aber wir hatten die Rechnung ohne die Mitarbeiter des Baumarkts gemacht.
Das Objekt der Begierde
Nach kurzer Suche standen wir vor dem Regal mit den Arbeitsplatten und es tat sich das erste „Problem“ auf. Welche Farbe sollten wir nehmen? Keiner von beiden wollte die endgültige Entscheidung treffen. Schließlich musste man sich gegebenenfalls dem Tribunal der vorwiegend weiblichen Benutzer der Küche stellen. Aber wir einigten uns schnell auf eine Arbeitsplatte, bei der auch der dazugehörige Spiegel im Regal stand. Wir gingen also zu dem jungen Mann, der an der großen Wandsäge stand, mit der die Arbeitsplatten nach Maß gekürzt wurden. Wenn es an diesem Tag auch nur einen einzigen schlecht gelaunten Mitarbeiter gab, der zudem offensichtlich auch noch keine Lust zu arbeiten hatte und darüber hinaus auch wenig Ahnung zu haben schien, wir hatten ihn gefunden.
Ich hole Hilfe
Wir sprachen den jungen Mann also an und gingen mit ihm zum Regal, wo unser Objekt der Begierde stand. Er fragte uns, in welcher Länge wir die Platte benötigen und wir antworteten ihm entsprechend. Dann passierte … nichts. Er stand vor dem Regal und schaute abwechselnd uns und die Arbeitsplatte an. Mein Kollege und ich schauten uns schließlich an und fragten ihn schlussendlich, worin denn nun das Problem läge. Herr Baumarkt – ich nenne ihn jetzt einfach mal so – antwortete, dass er aufgrund der Länge der Arbeitsplatte Hilfe holen müsse. Aha, und für diese Erkenntnis benötigt man also mehrere Minuten lang Bedenkzeit. Aber gut, Problem erkannt, Hilfe angeboten. Wir sagten also zu ihm, dass wir gerne mit anfassen könnten. Dieses Mal schoss es wie aus einer Pistole aus ihm heraus: „Nein, nein, das geht auf gar keinen Fall. Wenn dabei etwas passiert, sind sie nicht versichert. Ich hole Hilfe.“
„Aber hier laufen doch genügend Kollegen von ihnen herum. Da kann doch sicherlich jemand mal schnell mit anfassen.“
„Nein, das geht nicht. Die sind alle nicht in meiner Abteilung.“ Kurz bevor er sich nun auf den Weg machen wollte, sagten wir ihm noch, dass wir den dazugehörigen Spiegel ebenfalls gleich mitnehmen würden. „Spiegel, was denn für einen Spiegel.“ „Na, die Rückwand der Küche. Der Bereich, der oft gefliest ist. Da soll ebenfalls eine Platte hin, als Spritzschutz halt.“ Herr Baumarkt deutet an, dass wir ihm folgen sollen, ging zu einer anderen Regalreihe und sagte: „Hier!“ Und dann verschwand er in Windeseile um die Ecke. Wir guckten uns erst um und dann an. Wir mussten lachen. Herr Baumarkt hatte uns in die Abteilung für Fußböden geführt. Herrje.
Wo bleiben Kaffee und Kuchen?
Wir setzten uns als auf das Sofa, welches man wohl schon aus Rücksicht zu den geplagten Baumarktkunden im Bereich der Wandsäge aufgestellt hatte. Die Zeit verging, von Herrn Baumarkt war weit und breit nichts zu sehen und wir unterhielten uns über Gott und die Welt, oder genauer gesagt über vergangene Urlaube, kommende Urlaube, Reiseziele, die schönsten Urlaubsorte, Musik, Biathlon, Eishockey und wer weiß nicht was noch alles. Es hatte im Grunde genommen nur noch der Kaffee und ein Stück Kuchen zum kleinen Glück in dieser misslichen Lage gefehlt. Plötzlich – nach einer halben Stunde – kam Herr Baumarkt wieder um die Ecke. Die Schlange der Wartenden am Tresen vor der Wandsäge war beachtlich angestiegen und die Stimmung dementsprechend gereizt. Herr Baumarkt schenkte uns keinerlei Beachtung und ging direkt zur Säge, sprach mit der ersten Kundin am Tresen und sägte ihre Fußleisten in die gewünschte Länge. Und schon wurde der zweite Kunde bedient, welcher laut eigener Aussage ein Futterhaus für Vögel bauen wollte und die Bretter entsprechend in Länge und Breite zurecht gesägt haben wollte. Bevor der dritte Kunde bedient wurde, sprangen wir dazwischen. „Wir hätten gerne unsere Arbeitsplatte, die immer noch dahinten im Regal steht, auf die entsprechende Länge gesägt. Und den dazugehörigen Spiegel, DER ÜBRIGENS IN DEMSELBEN REGAL STEHT, ebenfalls.“ Es folgte der Satz, den alle Baumarktkunden schon zuhauf gehört haben: „Meine Kollegin kommt gleich.“
Die Rettung naht
Nach einer weiteren halben Stunde … Moment mal. Es war jetzt kurz nach 14 Uhr, wir warten hier exakt eine Stunde. Da wollte wohl jemand nicht in seiner Mittagspause gestört werden. Nach nun insgesamt einer Stunde Wartezeit kam tatsächlich eine Frau um die Ecke gestürmt und hielt direkt auf Herrn Baumarkt zu. Dieser zeigte auf uns und sie sprach uns an. Anhand ihrer Fragen und der Tatsache, dass sie wusste, was ein Spiegel mit einer Küche bzw. Arbeitsplatte zu tun hat, merkten wir gleich, dass wir endlich an der richtigen Adresse waren. Aber unserem Glück standen noch Herr Baumarkt, den sie zum Herausheben der Arbeitsplatte aus dem Regal benötigte und eine besonders renitente Oma samt Tochter und zwei Enkelkinder im Weg. Die besagte Oma war die nächste Kundin am Tresen und beschwerte sich bitterböse, dass Frau Baumarkt Herrn Baumarkt von der Wandsäge weg beorderte. Auch unsere Aussage, dass wir mittlerweile über eine Stunde auf unsere Arbeitsplatte warten, brachte sie nur noch mehr in Rage. Wir hätten doch wohl noch fünf Minuten mehr Zeit und was sind wir überhaupt für schlechte Menschen, die zwei kleine Kinder so lange im Baumarkt warten lassen. Weshalb nimmt man dann überhaupt kleine Kinder mit in den Baumarkt, fragten wir uns. Aber gut, sei es wie es ist. Die Oma schnappte sich wutentbrannt ihre Leisten und stampfte samt Gefolgschaft von dannen. Wir konnten uns also endlich unserer Arbeitsplatte widmen. Frau Baumarkt schnappte sich neben Herrn Baumarkt auch eine Art Wippwagen und ging zum Regal. Sie gab Herrn Baumarkt die Anweisung sich neben den Wagen zu stellen und die Arbeitsplatte mit nach oben gestreckten Armen in Empfang zu nehmen, sich hinter den Wagen zu stellen und die Arbeitsplatte auf den Wagen abzulegen. So weit, so gut. Aber sie hatte die Rechnung ohne Herrn Baumarkt gemacht. Sie zog also die Platte aus dem Regal und kippte sie in Richtung Herrn Baumarkt, der diese wie zuvor besprochen auf den Wagen legen sollte. Aber es passierte … nichts. Nach einer gefühlten Ewigkeit platzte auch Frau Baumarkt der Kragen und sie blaffte Herrn Baumarkt an, er solle endlich die verdammte Platte auf den Wagen legen. Jedoch gelang es ihm erst, als wir ihm den Hinweis gaben, sich nicht neben, sondern hinter den Wagen zu stellen. Der Rest klappte dann dank Frau Baumarkt erstaunlich gut und schnell.
Es war noch nicht zu Ende
Als wir endlich am Auto angekommen waren mussten wir das Hundegitter abbauen, welches ein Einladen der Arbeitsplatte samt Spiegel verhinderte. Nachdem dies erfolgreich geschah stellten wir fest, dass die beiden Platten trotz vereinter Tetriskünste und Pi-Mal-Auge-Künste partout nicht ins Auto passten. Verdammt. Auch das noch. Wir riefen also unseren dritten Mann an und klagten unser Leid. Er machte sich direkt auf den Weg und uns blieb nichts Anderes übrig, als in der Eiseskälte und bei Regen zu warten. Wir gaben sicherlich ein merkwürdiges Bild für andere Baumarktkunden ab, wie wir so hinter dem Auto bei geöffnetem Kofferraum standen, links und rechts die beiden Platten auf unseren Rollwagen festhielten und uns einfach nur anschauten. Aber nach einer Viertelstunde kam Hilfe. Unser dritter Mann war da und ratzfatz waren die Platten in seinem Auto verladen. Zwar passten sie auch nicht ganz ins Auto, aber kurzerhand wurde ein Druckerkabel umfunktioniert und als Kofferraumhalter um Scheibenwischer und Anhängerkupplung gebunden. Wobei wir bei den nächsten zwei ungeschriebenen Gesetzen des Handwerks wären. „Not macht erfinderisch“ Und „ein Handwerker weiß sich immer zu helfen.“
Nach fast zwei Stunden kehrten wir zurück und ich konnte endlich zu den Kaffeegästen nach Hause, die gemeinsam mit meiner Partnerin sehnsüchtig auf mich warteten. „Wo bleibst Du denn?“ „Ich habe da etwas zu erzählen…“