Himpelchen und Pimpelchen auf dem Weg nach Erfurt
„Pimpelchen, es war eine gute Entscheidung auf die modernen Verkehrsmittel zu verzichten und wie die Wandergesellen des alten Handwerks, sich auf Schusters Rappen, auf den Weg zu machen“, lobte Himpelchen seinen Wanderkameraden. „Bei ihnen“, fuhr er fort, „war es Pflicht auf die Wanderschaft zu gehen und auf Verkehrsmittel zu verzichten. Auf Ehre und Redlichkeit hat das alte Handwerk zu dieser Zeit geachtet.“
Auf der Walz
Noch im 18. Jahrhundert war es Pflicht, sobald die Gesellenprüfung bestanden war, drei Jahre auf die Walze zu gehen und in einem festgelegten Radius von 50 km von seinem Heimatort entfernt diese Gegend innerhalb der nächsten drei Jahre nicht zu betreten. Wer dagegen verstieß wurde aus dem Handwerk ausgeschlossen. Jeder Wandergeselle war eingeschrieben und verpflichtet ein Wanderbuch führen. In dem alten Handwerk galt ein, bei fast allen Handwerkern, üblicher Gruß, der dem auf Wanderschaft ziehenden Gesellen aufgetragen wurde. In ihm spielten die Ehre und Redlichkeit eine bedeutende Rolle. So wurde ihm aufgetragen: „Grüße mir Meister und Gesellen, soweit das Handwerk redlich ist. Ist’s aber nicht redlich, so nimm Dein Bündel auf den Rücken und lass Schelme und Diebe sitzen.“ Der Wanderzwang und die Lust am Reisen, hatte die Gesellen in die weite Welt geführt und dies auch über die deutschen Grenzen hinaus. Alle Ortschaften und Länder, die sie bereist und in denen sie Arbeit angenommen hatten, waren in ihrem Wanderbuch festgehalten und von dem Altgesellen, den sie ja in jeder Ortschaft und in jedem Land ansteuern mussten (das Handwerk hatte ein weit verzweigtes Netzwerk über ganz Europa), abgezeichnet und gestempelt. Ihre Reisen führten sie, wie man ihren mitgeführten Dokumenten entnehmen konnte, nach Krakau, Böhmen, in die Schweiz und nach Österreich, Tirol und Italien. Und in der nördlichen Richtung über Dänemark, Schweden und Norwegen bis nach Finnland. Aber sie waren auch in Frankreich, Spanien und nach Übersee bis nach Amerika und Australien unterwegs.
„Du siehst Pimpelchen unsere Wanderung nach Erfurt ist zwar kurz aber auch für uns aufregend und spannend.“
Die Reise beginnt
„Toll!“
„Und wo kommen wir diese Nacht unter?“
„Wir werden schon eine Bleibe finden“, tröstete Himpelchen seinen Wandergefährten und fährt fort: „Wir benötigen ja nicht viel Platz. Für uns reicht ja schon eine Wurzelwohnung.“
„Sieh da – im Wurzelwerk der alten knorrigen Eiche finden wir für uns sicher eine freie Wohnung.“ Himpelchen deutete auf eine Öffnung zwischen den Wurzelballen. Beide steuern auf den Eingang dieser Öffnung zu, schieben den Wurzelvorhang beiseite und tatsächlich, wird ein großer Raum hinter dem Vorhang sichtbar. Sie schauen sich in ihm um und bemerken, dass in einer Ecke im hinteren Raum ein paar Stühle stehen. „Ganz wie für uns gemacht“, strahlt Pimpelchen bis über beide Ohren und nimmt auf einem der Stühle Platz. Dann schnürt er seinen Rucksack auf, greift hinein, holt die Wanderverpflegung heraus, legt sie auf die mitgeführten Teller und stellt die Trinkbecher auf den Tisch. Inzwischen hat Himpelchen vor dem Eingang ein kleines Feuer entfacht und auf einem Stritten (einem Dreibein) einen Kräutertee bereitet. „Ein warmes Getränk am Tag sollte es schon geben“, brummte Himpelchen in seinen Bart. Gemeinsam nehmen sie die Mahlzeit ein, trinken den warmen Tee und waschen im Anschluss ihr Geschirr ab. Dann räumen sie es beiseite, denn am nächsten Morgen brauchen sie es ja noch einmal bevor sie sich auf den Weg machen. Himpelchen und Pimpelchen stellen ihre Stühle vor die Tür, rauchen beide noch ihre abendliche Zigarre, erzählen noch darüber welche Strecke sie morgen zurücklegen wollen und verabreden, dass Himpelchen weitere Geschichten über das Handwerk und seine Gebräuche erzählen soll. Dann kuscheln sie sich in ihre mitgebrachten Schlafsäcke und entschlummern in die Nacht.
Der nächste Morgen
Vogelstimmen wecken sie am anderen Morgen. Die Drossel, die oben im Wipfel der Eiche ihr Nest aufgeschlagen hatte, singt ihnen ein morgendliches Ständchen und überschlägt sich förmlich in ihrem schönen Gesang. Von ihrem Gesang angeregt stimmten andere Vögel in dieses morgendliche Konzert mit ein. Dieses vielstimmige Konzert sorgt bei Himpelchen und Pimpelchen für gute Laune im Überschuss. Hoch motiviert, beginnen beide den gerade beginnenden Tag, der sich mit einer fahlen Blässe am östlichen Himmel abzeichnet. Nach der Morgentoilette decken sie ihren Frühstückstisch und frühstücken in aller Seelenruhe. Dann machen sie sich bereit für den Weg nach Erfurt, einer geschichtsträchtigen Stadt in Thüringen, die so viel zu erzählen hat. Sie hatten sich ja schon gestern Abend zurechtgelegt, welche Wegstrecke sie nehmen und welche Ortschaften und Sehenswürdigkeiten sie auf ihrem Weg besichtigen wollten. Ihren ersten Stopp, so hatten sie geplant, wollten sie in Hahnenklee – Bockswiese machen, diesem heilklimatischen Kurort in 600 bis 700 Höhe gelegen und mit seiner berühmten norwegischen Stabholzkirche. Von dort aus dann zu den ehemals freien Bergstädten, die seit 1924 zur Bergstadt Clausthal-Zellerfeld zusammengefasst wurden. In ihrem Mittelpunkt steht die Bergakademie (Technische Universität) und die größte Holzkirche Deutschlands.
„Nun haben wir genug getrödelt“, drängelt Pimpelchen seinen Wandergefährten, „sonst schaffen wir die Wegstrecke nicht!“
Fortsetzung – Die Reise beginnt